Meine sehr geehrten Damen und Herren,
die "Geschichte der Wiederentdeckung der künstlerischen Innenausstattung des ehemaligen Sanatoriums in Trzebiechów" ist schon ein wenig kurios gewesen.
Obwohl ich den Ort Trzebiechów und das jetzige Altersheim durch viele Besuche bereits seit 30 Jahren kenne, bin ich bis vor wenigen Jahren mehr oder weniger achtlos an den Schätzen des Hauses vorbeigegangen. Deshalb freue ich mich ganz besonders darüber, dass es unserem polnisch-deutschen Autorenteam gelungen ist,
Ihnen heute das jüngste bekanntgewordene Kunstwerk des europäischen Universalkünstlers Henry van de Velde vorstellen zu können - zumindest in Buchform ist es neu - denn einigen von Ihnen ist diese wiederentdeckte Kunst bereits bekannt.
Zufälligkeiten haben dafür gesorgt, dass es nach 100 Jahren des Vergessens ans Licht der Öffentlichkeit gelangt ist und somit in den Blickpunkt der europäischen Kunstwelt!
Wir sprechen heute von Trzebiechów - bis 1945 hieß das Dorf am süd - östlichen Rande der damaligen Mark Brandenburg Trebschen - heute rund 80 km von der deutsch - polnischen Grenze in Guben entfernt. Direkt hinter der sogenannten Grenzkirche von Trebschen begann Schlesien. Lassen Sie mich mit meinem Großvater mütterlicherseits, Dr. Curt Schelenz beginnen; denn er spielt die Schlüsselrolle in allem, und ihm verdanke ich die Informationen, die mich zu Henry van de Velde geführt haben.
Mein Großvater entstammte einer schlesischen Familie, der Vater war Apotheker und Pharmaziehistoriker, und er bewarb sich als junger Arzt auf die ausgeschriebene Stelle eines Chefarztes einer neu einzurichtenden Lungenheilstätte in Trebschen. Durch diesen Umstand kam er hierher und füllte diese Position dann von 1920 bis Januar 1945 begeistert und intensiv für die 110 Betten umfassende klinische Einrichtung aus.
Eine große Leidenschaft meines Großvaters war die publizierende Beschäftigung mit historischen Themen, nicht nur auf dem Gebiet der Medizin und Pharmazie, sondern auch der Heimatkunde. Und da ihm Trebschen schnell eine neue Heimat geworden ist, begann er bereits nach kurzer Zeit, sich mit der Geschichte des Ortes und der Umgebung auseinanderzusetzen. In der 12 km von Trebschen entfernten Kreisstadt Züllichau gründete er bereits 1922 einen Heimatkundeverein und gab von 1926 bis 1941 einen "Heimatkalender" heraus, in dem überwiegend historische und allgemein-kulturelle Beiträge veröffentlicht worden sind. Diese stellen eine wichtige Grundlage für die Geschichte dieser Region dar.
Zu der van de Velde-Geschichte von Trebschen gehört ganz wesentlich die fürstliche Familie Reuß. Ehemals haben in Deutschland 2 souveräne deutsche Fürstentümer Reuß bestanden. Diese Familie hat 180 Jahre lang die Geschicke dieses Dorfes wesentlich mitbestimmt. Im Jahr 1765 übernahmen die "Reussens" die Herrschaft Trebschen mitsamt einem Schloß und weiteren in der Umgebung gelegenen Gutshöfen. Unter den hier geborenen Prinzen Reuß gab es auch Prinz Heinrich den 24., geboren 1855, gestorben 1910, der sich als Musiker einen Namen gemacht hat und eine Reihe Kammermusik- und Orchesterwerke in Dresden und Leipzig komponiert hat.
Im Jahr 1861 bezog Prinz Heinrich VII. Reuß das Schloß Trebschen. Er war geboren 1825 in Klipphausen bei Meißen, studierte Jura und Landwirtschaft, wurde später königlich preußischer General der Kavallerie, bis er die Diplomatenlaufbahn in Paris begann und anschließend Botschafter in St. Petersburg, Konstantinopel und Wien gewesen ist. Außerdem gehörte er dem preußischen Herrenhaus an und war Generaladjutant Kaiser Wilhelms I.
Er war mit Bismarck befreundet, der ihn 2 Mal hier im Schloß besucht hat. Ein im Schlosspark noch heute vorhandener Gedenkstein erinnert an einen dieser Besuche. 1894 beendete er seinen diplomatischen Dienst und zog sich nach Trebschen zurück.
Prinz Reuß war seit 1876 verheiratet mit Marie Alexandrine von Sachsen - Weimar - Eisenach, einer Tochter des damaligen Großherzogs Carl Alexander. Das brandenburgische Dorf blühte unter den "Herrschaften" besonders auf. So haben das Kunstverständnis und die stets bereiten finanziellen Mittel dazu beigetragen, dass die kleine Gemeinde regelrecht aufgeblüht ist. So wurde das Schloß 1880 erheblich ausgebaut, die Kirche im Nachbarort Padligar neu gebaut und dort zur Silberhochzeit eine Sauer - Orgel gestiftet. In Padligar - etwa 3 km von Trebschen entfernt - befindet sich die noch erhaltene Begräbnisstätte der Trebschener Familie Reuß.
Bereits 1790 kümmerten sich die Schlossherren um die Gesundheit der Bürger von Trebschen. Es wurde eine erste Krankenversorgung gegründet. Und zum Ende des 19. Jahrhunderts gründete Prinzessin Marie Alexandrine in Trebschen eine eigene Schwesternschaft und ein kleines, erstes Krankenhaus - das Sophienhaus. Dieser Name ist angelehnt an die 1875 von der damaligen Großherzogin Sophie in Weimar gegründeten Sophienhaus - Schwesternschaft. Prinzessin Marie Alexandrine hatte aber noch größere Pläne: anstelle von kleineren Bauernhäusern gegenüber dem Schloß baute "Ihre Hoheit das Sanatorium Trebschen nach Entwürfen van de Veldes" für ihren Leibarzt Dr. Müller. Nur diese kurze Erwähnung von Henry van de Velde im Zusammenhang mit dem Sanatoriumsbau wurde damals veröffentlicht.
Die Verbindung zur Trebschener Familie Reuß findet in der van de Velde - Biographie seinen Niederschlag lediglich in der Erwähnung als "Prinzessin Reuß" auf Seite 202. Und damit ist nicht eindeutig für Nicht - Eingeweihte Marie Alexandrine aus Trebschen erkennbar; denn im Namensregister ist sie fälschlicherweise mit Prinzessin Karoline Reuß bezeichnet. Und durch diesen Fehler ist eine Verbindung von Henry van de Velde nach Trebschen und damit zu seinem dortigen Kunstwerk unterblieben.
Der Auftrag des Sanatoriums lief parallel zu seinen damaligen Bauprojekten des berühmten Nietzsche - Archivs in Weimar und der Villa Esche des gleichnamigen Strumpffabrikanten in Chemnitz. Und bereits am 8. Juli 1903 - noch vor der Vollendung der beiden anderen Bauvorhaben - fand die feierliche Einweihung des Arzthauses statt, zu der van de Velde jedoch nicht anwesend war. Die eigentlichen Klinikgebäude wurden erst 1905 endgültig fertiggestellt und der Betrieb aufgenommen.
Die endgültige Entdeckung der van de Velde - Innenausstattung hier in Trzebiechów verdanke ich der Tatsache, dass der Abschluß der Renovierungsarbeiten der Villa Esche in Chemnitz durch den damaligen Bundespräsidenten Rau zur Einweihung als Museum durch die deutsche Presse ging - das war 2002 - und ich dadurch deutlicher auf den Namen Henry van de Velde aufmerksam gemacht worden bin.
Denn im April 2002 las ich einen ganzseitigen Bericht über die Villa Esche mit dem Titel: "Wiedergeburt der Villa Esche - Deutschlands schönstes Jugendstilensemble, ein Gesamtkunstwerk vom "Vater des modernen Designs, Henry van de Velde". Diese Veröffentlichung machte mich richtig neugierig, da ich den Namen Henry van de Velde lediglich aus einer kurzen Erwähnung meines Großvaters kannte - mich aber weiter nie damit beschäftigt hatte.
Aber nun war plötzlich mein Interesse geweckt. Ich suchte aus dem Nachlaß meines Großvaters Unterlagen, Bilder und Berichte über das Sanatorium bzw. die Lungenheilstätte Trebschen heraus. Und ich fragte mich, was hat denn heute noch Trzebiechów - heute ein Altersheim - mit van de Velde zu tun? Was gibt es dort noch zu sehen?
Ich kannte die Gebäude in Trzebiechów von verschiedenen Besuchen, aber gezielt im Hinblick auf eine künstlerische Ausstattung fuhr ich im August 2002 dorthin. Mit dem damaligen Direktor des Altersheimes, Herrn Brzostowski und der heutigen Direktorin, Frau Agnieszka Szel±g, besichtigte ich intensiv die Innenräume des Arzthauses und der Klinikgebäude. Und tatsächlich sah ich einige Einrichtungsdetails, die durchaus mit einem Jugendstilkünstler etwas zu tun haben könnten. Aber ich kannte damals selber noch nicht van de Veldes künstlerische Handschrift und nahm daher alles zunächst einmal nur zur Kenntnis und machte Fotos.
Auf dem Rückweg nach Deutschland besuchte ich Bürgermeister Jeschke von Trzebiechóws Partnerschaftsgemeinde in Schenkendöbern bei Guben, um ihm von meiner möglichen Entdeckung zu berichten und erbat von ihm Unterstützung in meinem Bemühen, Kontakte mit dem Bürgermeister in Trzebiechów und den Verantwortlichen für das Altersheim aufzubauen.
Wieder zu Hause angelangt - 750 km von Trzebiechów entfernt im Raum Heidelberg - musste dann das Internet herhalten, das mich über eine "Europäische Vereinigung der Freunde Henry van de Velde's" in Gera informierte. Dort rief ich an und fragte nach einem Sanatorium in Trebschen von Henry van de Velde. Das Ehepaar Kielstein, selbst fundierte van de Velde - Kenner, äußerten sich, dass das sicher nicht sein kann, da alle größeren Innenausbauten von van de Velde bekannt sind und es kaum möglich sei, dass es ein Objekt gibt, von dem die Experten nichts wissen.
Das ließ mir alles keine Ruhe - das war mir an Information zu wenig und brachte mich noch nicht weiter! Da Kielsteins erzählten, dass sie selbst eine van de Velde - Villa in Gera besitzen, fuhr ich kurzerhand am Tag des offenen Denkmals im September 2002 dorthin und zeigte ihnen alte Fotos von Trebschen. Jugendstildetails waren zu sehen, ob sie aber van de Velde zuzuordnen waren - darauf konnten sie sich nicht festlegen. So schnell wie ich gekommen war, fuhr ich auch wieder zurück - meine Neugier wuchs immer weiter!
Da kam mir ein weiterer Zufall zu Hilfe: mir fiel der Brief des letzten Trebschener Pfarrers ein, der 1984 meiner Mutter mitgeteilt hatte, dass im Archiv in Berlin einige Trebschener Kirchenakten vorhanden sind. Ich überlegte nicht lange und machte mich auf den weiten Weg nach Berlin - in der Hoffnung, dass dort nicht nur Kirchenakten liegen! Der Weg war nicht umsonst! Die Findbücher des Archivs förderten dann überraschend Aktenberge über Trebschener Angelegenheiten zu Tage. Ich war dann volle 3 Tage im Archiv, nutzte die Öffnungszeiten bis zur letzten Minute aus - und das Ergebnis waren 38 Briefe von Henry van de Velde bzw. seines Büros, adressiert an die Bauherrin des Sanatoriums, Prinzessin Marie Alexandrine Reuß, mit Details über Planungen und das Baugeschehen. Damit hatte ich bereits die eindeutige Bestätigung der Urheberschaft van de Velde's - ohne fremde Hilfe und war schneller am Ziel, als ich es mir erträumt hatte. Ab sofort war ich ein van de Velde - Fan!
Aber trotzdem fuhren Herr und Frau Kielstein und ich im Oktober 2002 hierher. Bürgermeister Drobek, der Direktor des Altersheimes und der damalige Landrat, Herr Romankiewicz, als Hausherr über Gebäude und Altersheim, warteten schon ungeduldig auf uns.
Für Kielsteins war der erste äußerliche Eindruck des Baustiles der alten Sanatoriums - Gebäude nicht überzeugend. Dann wurde der erste Schritt in den Eingangsbereich getan - und der machte die Überraschung perfekt! Der großeTürgriffbeschlag sah aus wie der im Nietzsche-Archiv in Weimar. Und Treppen - details ähnelten denen in der Villa Esche in Chemnitz. Die Freude war nicht mehr zu verbergen! Und jeder weitere Schritt durch die Gebäude offenbarte plötzlich eine Vielfalt von erhaltenen Details. Es war einfach phantastisch!
In der Folgezeit fanden weitere Besichtigungstermine mit dem Landrat und der zuständigen Konservatorin vom Amt für Denkmalschutz, Frau Bielinis - Kopeæ, statt. Herr Romankiewicz und Frau Bielinis - Kopeæ entwickelten sich zu großen Förderern und Initiatoren vieler Aktivitäten.
Dazwischen kam dann - eigentlich zum richtigen Zeitpunkt - auf Grund der Recherche - Arbeiten des Forschungsprojektes "Werkverzeichnis Henry van de Velde" bei der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen, das von Frau Dr. Reuter und Frau Neumann bearbeitet wurde, im Februar 2003 ein Brief, gerichtet an den Heimatkreis Züllichau - Schwiebus, mit der Frage nach dem Schicksal eines Sanatoriums Trebschen. Da mein Großvater nach dem Krieg die Heimatkreis - Vereinigung für den früheren Kreis Züllichau - Schwiebus gegründet hatte und lange Jahre deren Vorsitzender gewesen ist, kam der Brief zu mir, mit der Bitte, ihn zu beantworten. So kam dann die Verbindung nach Weimar zustande. Im April 2003 war ich erstmals in Weimar und präsentierte dort alles, was ich an Schriftstücken und Fotos über Trebschen in meinem Besitz habe. Darunter ist auch eine erste, kleine Broschüre über das Sanatorium, vermutlich ein Entwurf von Henry van de Velde.
Gemeinsam fuhren wir dann im Mai 2003 nach Trebschen zur ehemaligen Baustelle des berühmten Designers. Die endgültige Bestätigung und die Aufnahme in das Werkverzeichnis waren dann die Folge. Die weiteren Aktivitäten verliefen dann mit guter Unterstützung des Landratsamtes, dem Denkmalschutz, dem Bürgermeister, der Direktion des Altersheimes, der belgischen Botschaften in Berlin und Warschau, der polnischen Botschaft in Berlin und auch begleitet durch die internationale Presse und des Fernsehens.
Im Oktober 2003 - nunmehr vor 4 Jahren - fand in diesem Raum eine erste wissenschaftliche Konferenz zu "100 Jahre Henry van de Velde in Trzebiechów" statt. Im August 2004 strahlte der Kultur - Fernsehsender arte eine erste Reportage über das neue van de Velde - Kunstwerk aus; im August 2004 wurde die "Polnische Henry van de Velde - Gesellschaft" mit Sitz im jetzigen Altersheim gegründet unter dem Vorsitz der Direktorin Szel±g. Im Oktober 2004 wurde im Bröhan - Museum in Berlin ein Vortragsabend mit Expertengespräch mit Referenten aus Polen, Belgien und Deutschland veranstaltet.
Und die Sensation nahm 2005 ihren weiteren Verlauf mit der Freilegung der ersten Schablonenmalereien. Diese wurden im Februar 2006 der Öffentlichkeit präsentiert. Es sind die umfangreichsten von van de Velde original erhaltenen Schablonenmalereien - insgesamt 8 verschiedene Varianten.
Und nun haben wir mit unserem gemeinsamen zweisprachigen Buch "Henry van de Velde in Polen" ein im Jahr 2004 geplantes Buchprojekt vollendet über das einzige Innenausstattungs-Kunstwerk des berühmten Designers im heutigen Polen. In diesem Jahr seines 50.Todestages - am 25. Oktober - wird damit sein jüngstes, bekannt gewordenes Kunstwerk erstmals veröffentlicht und gewürdigt. Die diesjährigen, verschiedenen Veranstaltungen in Europa zu Ehren von Henry van de Velde tragen auf jeden Fall mit dazu bei, dass der Name Trzebiechów in Verbindung mit dem Universalkünstler und bedeutenden Wegbereiters des Jugendstils in der Kunstwelt verankert worden ist!
In diesem Zusammenhang möchte ich heute - 5 Jahre nach der Wiederentdeckung - meinen ganz besonderen Dank und Anerkennung für die unermüdlichen Restaurierungs - und Renovierungsarbeiten dieses einmaligen Kunstwerkes aussprechen.
Dieser Dank gilt insbesondere Herrn Landrat Lazicki und seinem Amtsvorgänger, Herrn Romankiewicz, der Leiterin des Wojewodschaftsamtes für Denkmalschutz, Frau Bielinis - Kopeæ, Frau Direktor Szel±g vom Haus für Soziale Fürsorge, Herrn Bürgermeister Drobek und natürlichdem Experten für Henry van de Veldes Schablonenmalerei, Herrn Professor Markowski.
Und für die Realisierung der Herausgabe unseres zweisprachigen Buches gilt ebenso mein besonderer Dank dem Kulturforum östliches Europa in Potsdam, stellvertretend heute Herrn Dr. Klaus Harer und Herrn Thomas Schulz, die das Projekt während der vergangenen Jahre mit viel Engagement begleitet und vollendet haben. Und was wäre das Buch ohne Frau Professor Omilanowska, Frau Bielinis - Kopeæ, Frau Dr. Reuter und Frau Neumann - Ihnen allen sei großer Dank gesagt ür ihren Beitrag zur Erhaltung dieses einmaligen deutsch - polnischen kulturerbes in Trzebiechów!