home   
Sessel nach dem Entwurf von Henry van de Velde in der ihm gewidmeten Stube
   
 
Die Schüler von Henry van de Velde im Breslauer Künstlermilieu
 
Zuerst hatte ich die Absicht über die Aufnahme des Werkes von Henry van de Velde in Breslau, heute Wrocław, in den drei Jahrzehnten des 20. Jhs., als die Stadt eine kulturbildende Rolle spielte, zu schreiben. Breslau zählte damals über 400 000 Einwohner und nahm den zweiten Platz in der Bevölkerungszahl in Preußen ein. Nachdem ich nach den Spuren von van de Velde in Breslau vergeblich gesucht hatte, habe ich mein Augenmerk auf ein anderes Objekt gerichtet. Ich habe mir vorgenommen nur über zwei Schüler des Meisters zu schreiben: Li Vinecky-Thorn und Josef Vinecky, die der Breslauer Kunstakademie verbunden waren.

Das Künstlermilieu in Breslau wurde vom Anfang des 20. Jhs. bis zum Ende der dreißiger Jahre, d.h. bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges, von zwei Kunstgewerbeschulen geprägt: der Königlichen Kunst- und Kunstgewerbeschule, mit der Li Vinecky-Thorn und Josef Vinecky verbunden waren, und der mit der ersten konkurrierenden Städtische Handwerk- und Gewerbeschule, die in den Jahren 1900 – 1910 unter dem Namen Handwerkschule tätig war.

Jedoch wäre das Bestehen einer Institution ohne engagierte Menschen unmöglich. Die Künstler, die den größten Einfluss auf das künstlerische Leben von Breslau ausübten, kamen von der Kunstakademie. Kunstsammler und Kunstmäzene sammelten sich in dem Hause der Familie von Toni und Albert Neisser. Die Gesellschaft, die dort verkehrte, bildete die geistige und wissenschaftliche Elite von Breslau.

Die Königliche Kunst- und Kunstgewerbeschule, wurde 1871 gegründet, da der Kaiser Friedrich Wilhelm II. das Berliner Kulturleben dezentralisieren wollte. Hier sollten die Handwerker für die Region ausgebildet werden. Bei ihrer Ausbildung legte man einen großen Wert auf die Verknüpfung der Gebrauchskunst mit der Bildung im Bereich der freien Künste. Diese Verbindung von Kunst mit Industrie und Gewerbe, sollte mehr berücksichtigt werden. Und es wurde besonders wichtig, als die Schule ab 1903 von Hans Pölzig geleitet wurde. Eine Provinzschule wurde 1875 in die Königliche Kunstschule umgenannt. Im Jahre 1911 wurde sie zu einer Akademie und 1918 bekam sie den folgenden Namen: Staatliche Kunst- und Kunstgewerbeschule. Unter der Leitung von H. Pölzig, dem Architekten und Raumgestalter, realisierte die Schule die Ideen seiner Vorgänger, besonders die von Herman Kühn, dazu zählten Bildung eines modernen Profils, Pragmatismus und Entgegenkommen gegenüber den Bedürfnissen des Milieus. Die nacheinander folgenden Direktoren wie August Endell (Architekt) und Oskar Moll (Maler) setzten auf die Entwicklung der mit der freien Kunst integral verbundenen Gebrauchsdisziplinen. Die Schule bekam den Ruf einer fortschrittlichen Bildungsanstalt, indem sie eine enge Zusammenarbeit mit dem Bauhaus entwickelte. Die unkonventionellen Programmgestaltungen verlangten nach unkonventionellen Lehrern. Zu denen gehörten Li Vinecky-Thorn und Josef Vinecky. Die Schule gestaltete aktiv das Künstlerleben in Breslau in enger Zusammenarbeit mit dem Schlesien Museum für Kunstgewerbe und Altertum. Das Museum unter der Führung von Karl Maser veranstaltete ab 1900 jährliche Kunstausstellungen mit Vorträgen. Dabei konnte man die Arbeiten der Studenten mit den anderen Arbeiten der schlesischen und deutschen Künstler vergleichen. Unter den eingeladenen Gästen war auch Henry van de Velde mit dem Vortrag "Meine Ansichten über die Kunst". Die Schule nahm an allen bedeutenden Ausstellungen teil, u. a. an der Großen Kunstausstellung in Breslau 1920 und an einer bedeutenden Ausstellung 1929 unter dem Titel: "Wohn- und Werkraum-Ausstellung" (WuWa). Die Studenten haben auch manche Ausstellungsbeiträge praktisch realisiert – Ausstattung des Rathauses in Löwenberg (Lwówek Śląski), oder Bau einiger Objekte im Rahmen von WuWa in Löwenberg.

Im Frühjahr 1926 wurde in der Akademie Else Amanda Karoline Thorn (seit 1909, nach der Heirat – Li Vinecky-Thorn) als Leiterin einer Weberwerkstatt angestellt. Li Vinecky-Thorn (1867 – 1952) studierte Kunstgewerbe an der Kunstgewerbeschule in Krefeld und am Seminar bei Henry van de Velde. In den Jahren 1907 – 1909 hatte sie schon eine Kunstgewerbewerkstatt in der Weimarer Kunstgewerbeschule bei Henry van de Velde. Sie beschäftigte sich mit Kunstgewerbe: Stickerei, Batik, Stoffdruck und Buchbinden. In der Schule von Henry van de Velde stellte sich Li Vinecky-Thorn sehr große Forderungen, die sie mit der kommerziellen Seite des Unternehmens nicht vereinigen konnte. Nach einiger Zeit war sie gezwungen ihr Atelier zu verkaufen. Mit dem erhaltenen Geld hat sie ihrem Mann bei der Gründung einer Keramikfirma in Sinn/ Herborn geholfen. Das Ehepaar zog dorthin 1909 um. Li Vinecky-Thorn entwickelt ihre Ideen für Stoffe. Sie steht unter dem Einfluss von Henry van de Velde, dabei beachtet sie die Prinzipien der Werkstatttechnik, moderner Formbetrachtung und der Verziermotive.

Nachdem Li Vinecky-Thorn in Breslau angestellt wurde, begann ihre Zusammenarbeit mit anderen Pädagogen, sie stellte gern ihre Werkstatt z. B. Oskar Moll und Hans Scharoun zu Verfügung. Sie wurde für ihre Logik in den Stoffmustern geschätzt und für die Anwendung kubistischer Motive bekannt. Ihr Engagement bei den Teamarbeiten der Akademie und Erfolg bei der Ausstattung des "Wolkenkratzers" mit Gewebe nach dem Projekt von A. Rading auf die Wuwa-Ausstellung wurden sehr gelobt.

Im Jahre 1928 wurde Josef Vinecky an der Akademie angestellt, um dort eine Tischlerwerkstatt zu leiten. Zuerst war er als Bildhauer und Keramiker bekannt. Es war wieder ein gewagter Schritt. Es gab auch kritische Stimmen, aber wie sich nach kurzer Zeit zeigte, völlig unbegründet. Die Vielseitigkeit bei den Projektarbeiten hat er von seinem großen Meister gelernt. Josef Vinecky (1882 – 1949) war Sohn eines Stellmachermeisters. In den Jahren 1877 – 1901 lernte er Bildhauerei bei Mander in Troja. Im Jahre 1902 trat er in Weimar in das von Henry van de Velde geleitete Seminar ein, das später in die Kunstgewerbeschule umbenannt wurde. Zuerst arbeitete J. Vinecky als Bildhauer und Sekretär von Henry van de Velde. Seit 1909 leitete er eine Keramikwerkstatt und Kunstgewerbewerkstatt für Industriedesign, die den anderen Kunstgebieten dienen sollten. "Josef Vinecky ist fähig, selbständig Projekte in allen Kunst- und Industriedesigngebieten, die mit der Bildhauerei zu tun haben, zu entwerfen.", so beurteilte Henry van de Velde seinen Schüler, nachdem Vinecky sich von seinem Meister getrennt hatte. Während seines Aufenthalts in der Kunstgewerbeschule nahm Josef Vinecky Kontakte mit der Industrie auf. Er kooperierte und fertigte Arbeiten für das Volkswagen-Museum an, überwachte die Ausführung von Denkmälern in Jena und Antwerpen, Springbrunnen im Osthausmuseum usw. Er war auch Zeuge aller Programmänderungen und Änderungen in der Organisation in der Schule von Henry van de Velde.

Nach dem Umzug nach Sinn gründete er eine eigene Keramikwerkstatt. In dieser Zeit bildete sich sein individueller Stil heraus. Die Innenausstattung der Badeanstalt in Wiesbaden 1913 mit kubistischen Mustern auf den Fliesen gab ihm die Chance, mit den anderen Werkstätten zusammenzuarbeiten (z.B. mit der Werkstatt für Porzellan von Max A. Pfeiffer) und mit Künstlern (mit den Bildhauern Ernst Barlach und Gerard Marks und mit dem Maler Alexej Jawlensky). Die Arbeit in Wiesbaden, 1919 –1927, wo er in einer Künstlerschule unterrichtete, ist die Zeit seiner aktiven Tätigkeit als Bildhauer unter dem Einfluss der Stilistik von Barlach. Der Umzug seiner Frau nach Breslau und ihre Arbeit an der Akademie veranlassten ihn, auf den Vorschlag, eine Kunsttischlerwerkstatt an der Akademie zu übernehmen, einzugehen.

Josef Vinecky entwarf in seiner Werkstatt Projekte und schuf einfache Holzmöbel (sichtbare Spuren der Schule von van de Velde). Es waren zum Teil klappbare, für kleine Wohnungen, oder für Serienproduktion geeignete Möbel. Er entwarf auch Möbel aus Metallrohren, ähnlich wie Marcel Breuer von Bauhaus. Er machte so wie sein Meister Gefäße für den alltäglichen Gebrauch aus Glas und Metall, befasste sich auch mit Kunstgewebe. 1930 hatte er, um sein Schaffen zu erweitern, seine Tischlerwerkstatt in eine Umformungswerkstatt umgebaut. Er versuchte dort völlig neue Stoffe, wie Plexi und Polyester als Ausgangsstoff für die von ihm entworfene Objekte zu verwenden. Bedeutend für sein Schaffen dieser Zeit blieb die Teilnahme an der Ausstellung in Breslau 1929, die die schlesische Niederlassung des Werkbundes bei der Akademie organisiert hatte. Die Ausstellung bildete eine experimentelle Wohnsiedlung, die Bauten wurden von einer Gruppe moderner Architekten gebaut, manche Innenräume sind durch die Werkstätten der Akademie ausgestattet worden. In der Ausstellung hatte Vinecky seine Entwürfe in der unter dem Titel "Metall-, Holz-, Glasisolierungsstoffe" und "Inneres der Wohnung und Möbel". Die Möbel von Vinecky, dem von van de Velde Stil und den russischen Konstruktivisten ähnlich, füllten die Räume eines Mietshauses nach dem Entwurf von A. Rading. Sie galten als charakteristisch für die Akademie, konstruktiv in Form und verstärkt durch die Farbe.

Josef Vinecky präsentierte sehr fortschrittliche Anschauungen beim Entwerfen aller Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs. Er wird heute für den Vorläufer der Verbindung des Marktes mit dem Design gehalten. Eine wichtige Rolle maß er dem psychologischen Faktor bei der Annahme eines Produktes zu, das positive Verhältnis zu dem Produkt schien ihm äußerst wichtig zu sein. Seine Erfolge verdankte er der einmaligen Stimmung der Akademie, der Kreativität aller Angestellten und Studenten. Diese Einstellung und eine enge Verbindung mit dem Bauhaus in Dessau (von wo viele links orientierte Künstler nach Breslau umzogen) verursachten Repressionen und letztendlich die Schließung der Akademie 1932. Das Ehepaar Vinecky und eine bedeutende Anzahl von Angestellten –haben die Stadt als Ausländer 1933 verlassen müssen.

Nach einigen Aufenthaltjahren in Berlin zog 1937 Vinecky mit seiner Frau in die Tschechoslowakei um. In den Jahren 1937 – 1939 war er Professor an der Kunstgewerbeschule in Bratislava – danach in Prag und schließlich in Olmütz. 1936 gründete er das Institut für künstlerische Bildung an der Universität mit. Er arbeitete dort bis 1948, unter dem Druck der kommunistischen Regierung beendete er seine Aktivitäten. Er zog nach Prag um, wo er nach kaum einem Jahr starb. Drei Jahre später starb in Prag seine Lebensgefährtin und Mitarbeiterin Li Vinecky-Thorn.

Andrzej Saj
Kunstakademie Wrocław / Polen

   
   
 
Copyright © 2024. Alle Rechte vorbehalten. Design und Realisierung   Centrum Technologii Internetowych CTI Sp. z o.o.