Die Ausstellung des Werkbundes schaffte eine gute Gelegenheit zum Gedankenaustausch. Während des alljährlichen Treffens des Werkbundes (1914) kam es zu einer regen Diskussion zwischen van de Velde und Muthesius. Das Thema der Diskussion waren Kunstverbindungen mit der Industrie oder genauer über den Einfluss der Standarisierung auf das Werk des Künstlers. Der Deutsche Werkbund wurde 1907 in München gegründet mit dem Ziel, Künstler und Industrielle zusammen zu bringen. Sie beabsichtigten eine harmonische Entwicklung in ästhetischer und technischer Hinsicht für die deutsche Industrie.
Unter den Gründern dieser Organisation waren Henry van de Velde, Muthesius, Peter Behrens, Josef Hoffmann, Joseph Olbrich und Richard Riemerschmid. Im Gründungsgesetz dieser Gesellschaft lesen wir, "es gibt keine festen Grenzen zwischen einem Gerät und einer Maschine. Produkte von hoher Qualität können sowohl mit Hilfe einer Maschine, als auch mit Hilfe eines Gerätes hergestellt werden, unter der Bedingung, dass die Menschen die Maschine wie ein Gerät gebrauchen." Die Künstler sollten ihren festen Platz in der industriellen Produktion haben, das Endprodukt sollte "einen Funken der Sensibilität in sich beibehalten und auch an die Kunst anknüpfen".
Muthesius gehörte zu den dynamischsten Mitgliedern im Deutschen Werkbund. Er schlug Peter Behrens für die Berliner Firma AEG vor. Henry van de Velde wollte seine künstlerische Freiheit nicht zugunsten der Industrie aufgeben. Er legte immer noch einen großen Wert auf die traditionelle Kunst und das traditionelle Handwerk. Von Zeit zu Zeit machte er jedoch Entwürfe für die Industrie: es waren Tafelgeschirr für Meißen, Jena und Kopenhagen. Sie waren streng der Norm und dem Prinzip der Massenproduktion unterordnet. Die Meinungsunterschiede zwischen Muthesius und van de Velde führten zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden im Jahre 1914. Muthesius war für Standarisierung. Seiner Meinung nach sollte sich der Künstler auf die allgemeinen Geschmackskriterien stützen. Van de Velde, der von Obrist, Endel und Bruno Taut unterstützt wurde, erwiderte ihm: "So lange im Deutschen Werkbund Künstler bleiben, so lange werden sie gegen alle vorgeschriebenen Regeln und jede Standarisierung protestieren. Der Künstler ist in seinem Wesen ein leidenschaftlicher Individualist, ein spontaner Schöpfer. Niemals ordnet er sich freiwillig der Disziplin unter, die ihn in Normen und Regeln zwingt."
Der Erfolg des Werkbundes war jedoch kurzfristig. Im August 1914 brach der erste Weltkrieg aus. Das Ausstellungszentrum wurde in Kasernen umgewandelt. Inzwischen kündigte van de Velde seine Stelle bei dem Weimarer Hof tiefst enttäuscht von den höfischen Intrigen. Sein Freund Kessler wurde schon früher zum Opfer solcher Intrigen und hat seinen Posten als Weimarer Museumsdirektor verloren. Der Grund dafür waren die skandalösen Aktzeichnungen, die er während der Ausstellung von Rodin präsentierte. Der Kriegsausbruch machte das Verlassen von Weimar unmöglich (als Ausländer musste er sich drei Mal wöchentlich bei der Polizei melden). Seine künstlerische Aktivität wurde auch abgebrochen. 1917 zog van de Velde in die Schweiz um, wo er zahlreiche Kontakte mit Künstlern und Intelektuellen aus Bern und Zürich, darunter Kirchner, Masserel und Romain Rolland intensiv pflegte. Bevor er sich wieder an die Arbeit machte, bekam er von dem holländischen Ehepaar Kroller - Muller (Seefrachtfirma) 1920 einen Auftrag. Im Jahre 1921 baute sich van de Velde ein Haus in Wassenaar bei Haag. Es war eine imposante Holzkonstruktion, die von der Firma Christoph und Unmack aus der Lausitzer Ortschaft Niesky gebaut wurde. Van de Velde hat den holländischen Architekten H. P. Berlage ersetzt.
Van de Velde machte kleine Entwürfe. Jedoch war die Aufgabe von der Familie Kroller - Muller eine ganz neue Erfahrung und Anforderung an ihn. In dem schönen Park de Hoge Veluve sollte ein Gebäude mit Räumlichkeiten für die Bilder-, Plastiken- und Porzellansammlungen der Auftraggeber entstehen. Die in den Jahren 1921-26 geschmiedeten Pläne konnten wegen der finanziellen Schwierigkeiten der Familie Kroller - Muller nicht realisiert werden.
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Portrait of Henry van de Velde by E.L. Kirchner |
Das Projekt wurde später 1937 in einer vereinfachten Form realisiert und erst 1953 beendet. Obwohl der architektonische Stil des Museums sehr einfach ist, gehört das Gebäude zu den besten Beispielen der Museumsbauwerke aus der Vorkriegszeit. Henry van de Velde schuf dort eine Reihe harmonisch miteinander verbundener Museumsräume, die durch das Tageslicht und die schöne Umgebung einen trefflichen Baukomplex bilden. 1925 kam van de Velde auf Einladung des belgischen Königs Albert und des Ministers für Kunst und Wissenschaften Camille Huysmans nach Belgien zurück. Seine erste Aufgabe war die Eröffnung des Instituts für Schöne Künste in der ehemaligen Abbey de la Cambre in Brüssel. Er wurde dort zum Direktor des Instituts ernannt und konnte sein Wissen und seine Erfahrung aus der Weimarer Kunstgewerbeschule vermitteln. In Tervuren (Vorstadt von Brüssel) baute sich van de Velde ein weiteres Zuhause ("La nouvelle maison"), machte noch einige Privataufträge, vorwiegend arbeitete er für die belgische Regierung als Kunstberater der belgischen Eisenbahn und der Marine. Er wurde zum Vorsitzenden der künstlerischen Beiräte der belgischen Pavillons während der Weltausstellung in Paris (1937) und in New York (1939). Seine beste Arbeit aus dieser Zeit ist zweifellos die Universitätsbibliothek in Gent (1936). Der Leseraum und die Büroräume, sogar die dort untergebrachten Bücherregale deuten von einer sehr edlen Stilführung des Künstlers. Das rationelle Element, ein so charakteristisches Merkmal seiner Arbeit, schlägt jegliches Dekorationselement. Die geschwungene Linie bildet ein kompaktes und überlegtes Ganzes.
Der erste Weltkrieg beendete seine Weimarer Zeit, der zweite Weltkrieg setzte seinem Schaffen das Ende. Diesmal für immer. 1947 verließ van de Velde Belgien und ließ sich in Oberagerij in der Schweiz nieder. Diesmal baute er kein Haus für sich. Er zog in ein Haus nach dem Entwurf von Alfred Roth ein, gebaut 1939. Hier hat er seine Memoiren niedergeschrieben und ist im Alter von 94 Jahren in einem Züricher Krankenhaus gestorben. Seine Reise durch Europa nahm hier sein Ende. Er hatte seinen eigenen "heiligen Weg", um das von ihm angestrebte Ziel zu erreichen, mit der Kraft des Geistes und Verstandes etwas Neues zu schaffen und mit dem Stil der Nachahmung zu brechen. Und mit seinen neuen frischen Ideen hat er sich einen Weg in die Kunstgeschichte geebnet.